Videoclips sind sicher nicht das ideale Medium, um etwas so Sinnliches wie Stoffe zu präsentieren - oder das, was daraus werden kann. Doch was bleibt anderes übrig in Zeiten von Ausgangsbeschränkungen und Reiseangst? Eine Absage der Pariser Modewoche, so heißt es, kam nicht infrage. Bleibt nur das Internet.
"Diese digitale Modewoche zu organisieren hat uns gezwungen, die technischen Möglichkeiten auszuloten, sodass wir sie in Zukunft noch besser für die Fashion Weeks einsetzen können", sagte der Präsident der Pariser Federation de la Haute Couture et de la Mode, Ralph Toledano, vor dem Start der Modewoche. Wie das aussieht, zeigt sich seit Montag auf der Webseite des Modeverbands. Im Stundentakt wird dort jeweils ein Video der in der Federation zusammengeschlossen Modehäuser und assoziierter Labels veröffentlicht.
Los ging es mit der Haute Couture, quasi der Champions League modischer Schöpfung, bevor ab Donnerstag die Herrenmode für den kommenden Herbst gezeigt wird.
Damit die Modehäuser Corona-bedingt nicht noch weiter eingeschränkt werden, gab es nur eine Bedingung: nicht länger als 20 Minuten. Ansonsten bekamen die Teilnehmenden vollkommene künstlerische Freiheit über Art und Inhalt der Videos. Das Spektrum reicht von knappen Vorschauen bis hin zu aufwendigen Kurzfilmen; Performances sind zu sehen, aber auch klassische Defilees - nur eben ohne Zuschauer.
Wofür sich die Verantwortlichen entschieden, hängt natürlich auch davon ab, wie viel Geld ihnen zur Verfügung steht. Julien Fournié – eher modischer Mittelstand – entschied sich für eine in seinem Atelier gedrehte Selbstpräsentation. In knapp acht Minuten erklärt der Franzose, was seine und Haute Couture im Allgemeinen ausmacht – alles Handarbeit und in mehreren Sitzungen maßgefertigt, jedes Stück ein Unikat - und dass er in diesem Jahr private Vorführungen anbietet. Auf Einladung soll es Hausbesuche geben.
Nebenbei kleiden Fournié und sein Team ein Model ein, schließlich soll ja Mode zu sehen sein. In dem Fall unter anderem ein schwarzes Spitzenkleid und in ein mit Federn bestücktes mitternachtsblaues Abendkleid. Dass der Designer und sein Team nicht super professionell vor der Kamera agieren und in einer Szene seine schwarzen Sportsocken hervorblitzen, macht die Sache umso sympathischer.
Vorwürfe gegen Dior
Dior ist ganz anders unterwegs – modisch wie finanziell. Und so engagierte Kreativdirektorin Maria Grazia Chiuri ihren Landsmann, den italienischen Regisseur und Cannes-Preisträger Matteo Garrone ("Gomorrha", "Pinocchio") für den Kurzfilm "Le Mythe Dior". Darin tragen zwei Boten eine Schatulle mit Miniaturkleidern durch einen Märchenwald.
15 Minuten dauert es, bis eine Baumfrau, eine Venusstatue, eine Meerjungfrau, Sirenen und andere Fabelwesen aus den insgesamt zehn Roben gewählt haben – alle klassizistisch angehaucht und laut Chiuri inspiriert von den Werken der Künstlerinnen Lee Miller, Dora Maar und Jacqueline Lamba.
Dass in dem Video bei aller mythologischen Vielfalt nur weiße Models mitspielen, kam indes nicht gut an bei manchen Betrachtern. Es passte auch nicht zum Grußwort Naomi Campbells - das ehemalige Topmodel hatte zu Beginn der Modewoche eine ausgewogenere, vielfältigere Modeindustrie gefordert.
Auf ihren Modelcast angesprochen, sagten Chiuri und Garrone hinterher, sie hätten das Gefühl gehabt, es könnte gezwungen wirken. Außerdem komme es bei Diversität immer auch auf den Kontext und die Bezugspunkte an. "Wenn ich einen anderen Film mache, werde ich wahrscheinlich anders casten", zitiert sie der "Guardian". Nicht alles lasse sich in derselben Bildsprache erzählen, so Chiuri - "auch wenn ich mit dem Anliegen komplett übereinstimme".
Weg vom klassischen Modeltyp
Insgesamt fällt auf, dass sich viele Labels nicht für den klassischen Modeltyp entschieden. Iris van Herpen verpflichtete "Game of Thrones"-Darstellerin Carice van Houten, um ihren Entwurf zu präsentieren. Für das Maison Rabih Kayrouz erweckte eine Tänzerin das Kleid zum Leben, und bei Antonio Grimaldi wird die Schauspielerin Asia Argento gemeuchelt.
Gar keine Models braucht das Schiaparelli-Video. Nur Designer Daniel Roseberry ist zu sehen, wie er im Park zeichnet. Mit dem Skizzenblock hat er sich schon bei vorherigen Modenschauen inszeniert, aber diesmal existiert die Mode nur auf dem Papier; wegen der Pandemie bleibt es eine "Collection Imaginaire".
Für die klassische Modenschau vor imposanter Kulisse entschied sich Georges Hobeika. Er zeigte seine transparenten und sehr hoch geschlitzten Kleider vor einem Betonbogen. Deutlich kleiner, aber dafür cooler war die Kulisse von Alexis Mabille. Eine kleine pinke Box reicht ihm vollkommen aus, um seine in klassischen Herbstfarben gehaltene Kollektion in Szene zu setzen. Toll inszeniert war auch die Präsentation des experimentellen Luxuslabels Aganovich – eine Art Stopmotion-Clip.
Nicht unbedingt wegen der Aufmachung, aber wegen der Idee bleibt Yuima Nakazatos Beitrag in Erinnerung. Er ließ sich von 25 seiner Kunden eines seiner Hemden schicken, um es neu zu gestalten - je nachdem, was ihm die Besitzer zuvor über ihre Beziehung zu dem Kleidungsstück erzählt hatten.
Wo ist die Mode?
Was bleibt also nach drei Tagen digitaler Fashion Week? Modisch nicht so viel. Mit globalen Trends ist das mittlerweile so eine Sache und in der Haute Couture geht es ja vor allem um Individualität. Zumal die Kreativen auch einen schwierigen Spagat grätschen mussten: je besser, ausgefallener die Clips, desto weniger Mode war zu sehen. Auch Corona spielte keine große Rolle. Außer Giambattista Valli und dem Inder Rahul Mishra hatte niemand Masken in seiner Kollektion.
Dafür gab es viel gute Musik. Die kommt unter anderem von Chromatics ("Famous Monsters"), Acid ("Jockstrap") und Sylvie Kreusch. Letztere steuerte mit ihrer Band schon einmal Musik für die Pariser Fashion Week bei und war auch schon in Prada-Werbung zu hören. Diesmal bereicherte ihre Mischung aus Pop, New Beat und afrikanischen Musikstilen den Beitrag von Azzaro Couture. Für die Playlist notieren könnte man sich auch die sphärischen Klänge von Thierry Los im Video von Maurizio Galante. Das ist allein schon sehenswert wegen der Anmut der ehemaligen Yves-Saint-Laurent-Muse Amalia Vairelli.
Ob in diesen oder einen anderen Clip, reinschauen lohnt sich. So schnell schaffte man es noch nie durch das komplette Programm eines Haute-Couture-Kalenders. Immerhin.
July 09, 2020 at 02:10AM
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Paris Fashion Week: Wenig Mode, viel Kreativität - DER SPIEGEL - DER SPIEGEL
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Saint Laurent
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