Es wäre auch komisch gewesen, wenn es in der Jacquemus-Kollektion für Sommer 2020 keine Hotpants gegeben hätte – schliesslich gilt Simonporte Jacquemus als der Designer, der das Erbe der als typisch französisch empfundenen sommerlichen Leichtigkeit so modern übersetzt wie sonst kaum jemand.
Regelmässig gibt er an, vom Süden Frankreichs, seiner Kindheit und Jugend dort, und vor allem der Garderobe seiner Mutter inspiriert zu sein. Und was könnte dieses Lebensgefühl mehr wiedergeben, als eben die kürzeste aller Shorts, die all zu häufig allein durch ihre Bezeichnung Hotpants auf einen Aspekt, nämlich den der Sexiness, reduziert wird?
Dabei ist das viel zu einfach gedacht. Dass sie als sexy empfunden wird, ist viel mehr ein Nebeneffekt und vor allem aus sehr objektifizierender Sicht (die Diskussion um den Male Gaze wird in der Mode ja seit Jahren immer wieder diskutiert). Die Beweggründe, die Hotpants einmal so beliebt machten, lagen hingegen in der Emanzipation, dem Freiheitskampf, in dem Frauen, die ihre Körper eben nicht als Objekte sehen wollten, sondern die Deutungshoheit über sie zurückgewinnen wollten.
Und dafür hiess es erst einmal, sich von modischen Regeln zu befreien, und diese Befreiung hiess eben zunächst auch: Möglichst wenig Stoff. Der feministische Kampf im Textil machte die Höhe von Säumen und wie viel Bein gezeigt wurde zur Front. Diese Selbstermächtigung von damals ist den Diskussionen in der Mode heute, in einer Post-#metoo-Welt, gar nicht so unähnlich. Die Frage ist dann: Erscheint es selbstbestimmt, sich – klischeehaft gesprochen – sexy zu zeigen, den eigenen Körper zur Schau zu stellen? Oder kommt das eher als ein Einknicken gegenüber Erwartungen an die Attraktivität rüber ?
Der Siegeszug der Hotpants hat darauf eine Antwort: Sie tragen zu können/sollen/dürfen war ein Gewinn an sich – eine Befreiung von dem, was von Frauen erwartet wurde. Wenn von Saumlängen und was als angepasst galt und was nicht, gesprochen wird, geht es meist um Kleider und Röcke. Schon der Minirock galt als Revolution – aber kurze Hosen, zumal ihre extrem kurzen Versionen, gingen noch einen Schritt weiter.
Sie waren eben Hosen, und damit ein Kleidungsstück, das Frauen jahrhundertelang verwehrt worden war. Hotpants waren sozusagen die noch einmal emanzipiertere Version des Minirocks. Daher ist es auch kein Wunder, dass sie schon kurz nach ihrer Erfindung auch als Uniformen getragen wurden, und tatsächlich als offizielle Kleidungsstücke gesellschaftlich akzeptiert wurden. Ebenso in dieser Hinsicht nicht unwichtig: Die Erfinderinnen von Hotpants waren zwei weibliche Designerinnen, nämlich Mary Quant und Mariuccia Mandelli.
Das alles spielte sich – Sie ahnen es schon – in den späten 1960er, frühen 1970er Jahren ab, wie so viele Revolutionen und heutige Selbstverständlichkeiten in der Mode. Die selbstbewusstesten Frauen und Stilikonen der Zeit trugen Hotpants ganz bewusst und bewusst selbstbewusst, beispielsweise Marsha Hunt und Veruschka von Lehndorff. Heute sind ihre Looks und die Fotos dazu legendär.
Überhaupt gibt es wohl kaum ein Kleidungsstück, das immer wieder so eine Wandlungsfähigkeit bewiesen hat wie die Hotpants. Ab den späten 1970er Jahren wurde sie vor allem mit Sexarbeiterinnen assoziiert, und dass das dann als so deutlicher Verruf galt, sagt viel über die noch vorherrschende Misogynie der Zeit aus. Also wurden kurze Hosen in den 1980er-Jahren eher ballonig oder knielang (Bermudas) getragen, erst in den 1990er Jahren wurden die Hotpants rehabilitiert.
Sogar auf den Haute-Couture-Runway, etwa bei Yves Saint Laurent und Chanel, schafften sie es damals. In den nuller Jahren wurden sie dann zum wahren Garderoben-Klassiker, vor allem aus Jeans. Eine prägende Stilikone der Zeit, die die Hotpants immer wieder trug, war Kate Moss, am liebsten zu Ballerina – inspiriert von Sixties- und Seventies-Ikonen wie Anita Pallenberg.
Heute entwickelt sich das Hin und Her der Trends dynamischer, weniger stringent, und genau deswegen scheinen Hotpants auch so gut zu den gesellschaftlichen Entwicklungen zu passen – denn sie sind das, was die Trägerin aus ihnen machen will. Die Bandbreite der unterschiedlichen kurzen Hosen war in der Sommer-Saison 2020 auf den Laufstegen so gross wie selten zuvor. Es gab beispielsweise ein locker sitzendes Ensemble aus Bandeau-Top und Hotpants beim Trend-Label Khaite zu sehen.
Bei Saint Laurent nahm die Hotpants eine zentrale Rolle ein und wurde meist zu weit aufgeknöpften Hemden und kniehohen Stiefeln kombiniert. Und Isabel Marant brachte ausgefranste Jeans-Shorts in unterschiedlichen Farben und Waschungen zurück – typisch für sie, kombiniert mit oversized geschnittenen Jacken und geschnürten High Heels. Während der Chanel-Show konfrontierte das Model Gigi Hadid – in engen, schwarzen Hotpants – mutig eine YouTuberin, die mitten in der Show vom Publikum auf den Runway stürmte.
Wer hingegen erwachsen und seriös aussehen will, dem sei aktuell insbesondere eine Variante der Hotpants ans Herz gelegt, die in den letzten Monaten an Popularität gewann: die Strickshorts, die Teil vieler Lounge-Ensembles für stilvolle Looks zuhause wurde. Sie wird besonders häufig und besonders gerne zu farblich passenden Oberteilen, meist Cardigans, kombiniert.
In der Show von Salvatore Ferragamo gab es so einen Look in weiser Voraussicht schon einige Monate vor dem Lockdown auf dem Laufsteg zu sehen. Denn zu Hause oder draussen: Was da angemessen ist, das ist Ansichtssache. Gut, dass das heute die einzige Frage ist, die man sich bei Hotpants stellen muss.
July 16, 2020 at 09:42PM
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Hotpants: Wie können so kurze Hosen in die heutige Zeit passen? - NZZ Bellevue
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Saint Laurent
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